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Finanzprobleme: "Die Bürger werden die Not der Kommunen direkt zu spüren bekommen" - Höhere Abgaben, weniger Leistungen
(nf/red/01.07.10) Die Finanzprobleme der Kommunen haben dramatische Ausmaße angenommen. Angesichts eines Rekorddefizits von voraussichtlich 15 Milliarden Euro im laufenden Jahr müssen Städte und Gemeinden nun zu drastischen Maßnahmen greifen. Wie eine Studie der Beratungsgesellschaft Ernst & Young ergab, wollen die meisten Kommunen ihre Leistungen reduzieren und Abgaben erhöhen.

Originaltext von Ernst & Young:


+++Die Wirtschaftskrise hat die deutschen Kommunen mit voller Wucht erreicht. Die Einnahmen der deutschen Kommunen werden 2010 deutlich zurückgehen, für 2011 ist – wenn überhaupt – nur eine leichte Erholung absehbar. Gleichzeitig steigen die Ausgaben – trotz erheblicher Sparanstrengungen  der Kommunen. Die Folge: Jede dritte Kommune kann keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen, und die Verschuldung der Städte und Gemeinden steigt. 60 Prozent der Kommunen planen nun, kommunale Leistungen zu reduzieren. Und 84 Prozent der Kommunen haben vor, Gebühren und Steuern zu erhöhen bzw. einzuführen. Das sind die Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young, die auf einer Umfrage unter 300 deutschen Kommunen beruht.

Die Mehrheit der deutschen Kommunen (68 Prozent) bezeichnet die eigene Finanzsituation als schlecht oder sehr schlecht. Jede dritte deutsche Kommune musste für das Jahr 2010 sogar ein Haushaltssicherungskonzept verabschieden – das heißt: Diese Kommunen können keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen und müssen ihre Finanzplanung der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung vorlegen.

Kommunen setzen den Rotstift an und erhöhen Steuern und Gebühren

Die Bürger werden die Finanznot der Kommunen direkt zu spüren bekommen: durch höhere Gebühren, Schließungen oder kürzere Öffnungszeiten öffentlicher Einrichtungen oder auch einen ausgedünnten Nahverkehr. Sparen wollen die Kommunen vor allem in den Bereichen Straßenbeleuchtung (31 Prozent) und Jugend- und Seniorenbetreuung (29 Prozent). Vielfach werden auch Bäder geschlossen (14 Prozent) oder es wird Einschränkungen im Nahverkehrsangebot oder bei den Kita-Öffnungszeiten (jeweils 11 Prozent) geben.

Zusätzliche Einnahmen erhoffen sich die Kommunen von Gebühren- bzw. Steuererhöhungen. Fast jede zweite Kommune (46 Prozent) plant die Erhöhung des Grundsteuerhebesatzes. Auch beim Besuch von Bädern, Theatern und Museen werden in 44 Prozent der Kommunen zukünftig höhere Eintrittspreise fällig. Die Kita-Gebühren will etwa jede dritte Kommune erhöhen (32 Prozent), ebenso viele Kommunen planen die Erhöhung der Hundesteuer.

„Bürgermeister und Kämmerer durchforsten derzeit ihre Haushalte in allen Bereichen auf Sparpotenziale“, beobachtet Hans-Peter Busson, Partner bei Ernst & Young. „Jetzt gilt es, Einnahmen zu steigern und auf der anderen Seite die Ausgaben zu senken. Das wird für die Bevölkerung schmerzlichsein, aber eine andere Lösung gibt es nicht, da die Verschuldung der meisten Kommunen bereits viel zu hoch ist", meint Busson.

(...)

Weniger Investitionen – vor allem im Straßenbau

Viele Kommunen sehen sich derzeit nicht in der Lage, dringend notwendige Investitionen beispielsweise im Straßenbau zu tätigen. So geben 68 Prozent der Kommunen an, dass sie derzeit Unterhaltsmaßnahmen für Straßen und Gebäude strecken. 61 Prozent der Kommunen reduzieren die Neuinvestitionen in den Straßenbau und die Stadtentwicklung. Die Folgen: „Sanierungsbedürftige Straßen werden nur provisorisch geflickt, Schulbauten nur ungenügend instandgehalten, der Investitionsstau wird immer größer“, kommentiert Busson.

Unterm Strich werden die Investitionsausgaben der deutschen Kommunen im laufenden Jahr voraussichtlich weiter sinken: 46 Prozent wollen 2010 weniger investieren, nur 26 Prozent wollen die Investitionsausgaben steigern – trotz zusätzlicher Mittel aus dem Konjunkturpaket II, die in 2010 noch verausgabt werden.

Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben öffnet sich weiter

Die geplanten Sparmaßnahmen sind notwendig, da eine deutliche Besserung der Lage vorerst nicht in Sicht ist: Nachdem bereits 2009 die Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen um 20 Prozent gesunken waren, rechnet die Mehrheit der Kommunen – 59 Prozent – für das laufende Jahr mit einem weiteren Rückgang. Erst im Jahr 2011 soll die Talsohle erreicht sein: 35 Prozent der Kommunen hoffen darauf, dass die Gewerbesteuereinnahmen 2011 wieder steigen werden, immerhin 29 Prozent erwarten aber einen weiteren Rückgang. Vor allem ostdeutsche Kommunen sind pessimistisch: nur fünf Prozent prognostizieren einen Anstieg der Gewerbesteuereinnahmen im Jahr 2011, 38 Prozent sehen einen weiteren Rückgang.

Auch der kommunale Anteil an der Einkommensteuer wird aus Sicht der Kommunen vorerst keinen Beitrag zur finanziellen Gesundung der Kommunen leisten – im Gegenteil: 79 Prozent der Kommunen rechnen für das Jahr 2010 mit sinkenden Einnahmen. Und auch 2011 werden die Einnahmen aus Sicht der Befragten tendenziell sinken: 40 Prozent erwarten einen weiteren Rückgang, nur 29 Prozent hoffen auf steigende Einnahmen.

„Deutschlands Städte und Gemeinden sind so hoch verschuldet wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“, konstatiert Busson. „Und während die westdeutschen Kommunen darauf setzen, dass die wirtschaftliche Erholung ihnen zumindest mittelfristig wieder steigende Steuereinnahmen beschert, sehen die ostdeutschen Kommunen kein Licht am Ende des Tunnels.“ Strukturelle Probleme – rückläufige Bevölkerungszahl, hohe Erwerbslosigkeit, geringe wirtschaftliche Substanz – verhindern eine finanzielle Gesundung der Städte und Gemeinden in den ostdeutschen Bundesländern.

Während die Einnahmen der Kommunen also vorerst weiter sinken, sehen sich die Kommunen mit höheren Ausgaben konfrontiert: Vor allem die Sozialausgaben – z.B. Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose und die Ausgaben für Jugendhilfe –, die seit Jahren stark steigen, werden aus Sicht der Kommunen in den kommenden Jahren neue Rekordstände erreichen: 73 Prozent der Kommunen erwarten einen weiteren Anstieg – nur drei Prozent rechnen mit sinkenden Ausgaben. Kürzen können die Kommunen hier nicht, da diese Sozialausgaben bundes- oder landesgesetzlich geregelt sind. Auch die Personalausgaben werden nach Ansicht der Mehrheit der Städte und Gemeinden (64 Prozent) weiter steigen – trotz eines geplanten Stellenabbaus bei 61 Prozent der Kommunen.

Reform der Kommunalfinanzen nötig


„Die Finanzsituation der deutschen Kommunen ist katastrophal“, fasst Busson die Lage zusammen. „Die Folge wird eine weiter steigende Verschuldung der Kommunen sein. Viele deutsche Städte sind im Grunde bankrott. Sie werden die Schuldenkrise nicht aus eigener Kraft lösen können – schon weil die Sozialausgaben immer weiter steigen und die Einsparmöglichkeiten gerade bei den besonders betroffenen Kommunen schon ausgereizt sind“, stellt Busson fest. Eine nachhaltige Reform der Kommunalfinanzen sei dringend geboten. „Die Kommunen haben inzwischen einen Großteil ihrer Autonomie verloren, ihre Handlungsoptionen sind extrem begrenzt. Sie brauchen wieder einen größeren Gestaltungsspielraum und müssen stärker selbst über ihre Ein- und Ausgaben entscheiden können“.

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