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Wirtschaftsbericht: Standort Deutschland braucht Reformen, um dauerhaft in der Erfolgsspur zu bleiben - Problem Überalterung - Chancen auf "grünes" Wachstum
(nf/red/14.02.12) Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist gestärkt aus der Krise hervorgegangen und kann sich derzeit mit breiter Brust dem internationalen Wettbewerb stellen. Dabei wäre es wohl ein Fehler, sich auf erworbenen Lorbeeren auszuruhen. Nach Einschätzung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird die Bundesrepublik ohne weitere Strukturreformen mittelfristig wieder an Boden verlieren. Gefahr geht laut der Organisation vor allem von der rapiden Überalterung der Gesellschaft und dem damit verbundenen Mangel an Fachkräften aus. Um hier gegenzusteuern, müssten mehr Ältere und mehr Frauen in Arbeit gebracht werden. Auch sei Deutschland gefordert, sein bisheriges Erfolgsmodell auf die Bedingungen einer zunehmend wissensbasierten Ökonomie zu übertragen. Bildung und Qualifikation seien dabei die Grundpfeiler. Enormes Potenzial sieht die OECD im Klimaschutz und in "grünem" Wachstum. Deutschland solle versuchen, seine führende Position bei Umweltinnovationen zu behalten.

Originaltext der OECD:

+++ Nach dem bemerkenswerten Aufschwung der vergangenen Jahre liegen die größten Risiken für Deutschlands wirtschaftliche Entwicklung in einer Eintrübung des Welthandels und in der Eurokrise. Mittel- und längerfristig hängt Deutschlands Erfolg davon ab, ob es gelingt, sein Wachstumsmodell auf eine zunehmend wissensbasierte Wirtschaft einzustellen und ob es seinen Weg zu „grünem“ Wachstum effizient und konsequent weiterführt. Das geht aus dem „Wirtschaftsbericht Deutschland 2012“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor, der heute vom Generalsekretär der Organisation, Angel Gurría, in Berlin vorgestellt wird.

Die Grundpfeiler für zukünftiges Wachstum sind Investitionen in Bildung und Qualifikationen. Durch den starken Einfluss des Landes auf die europäische Wirtschaft könnten wachstumsfördernde Reformen in Deutschland einen wesentlichen Beitrag zu robusten Wachstumsperspektiven im Euroraum leisten. Unabhängig davon sollte Deutschland aber auch die Entwicklung schnell wachsender Länder in Asien und Lateinamerika im Auge behalten.

“Deutschlands Wirtschaftsleistung war in den vergangenen Jahren herausragend - seine Arbeitslosigkeit niedrig und sein Wachstum solide. Viele Länder schauen auf das Rezept, das diesen Erfolg erst möglich gemacht hat: Arbeitsmarktreformen, flexible und konstruktive Sozialpartner und eine besonnene Haushaltspolitik”, sagte Angel Gurría. “Doch um sich in eine wissensbasierte Ökonomie zu verwandeln, braucht das Land Reformen. Bedingt durch seine rapide alternde Bevölkerung muss Deutschland sein Wachstumspotenzial mittel- und langfristig vergrößern, etwa dadurch, dass es seine Binnennachfrage stärkt, die Produktivität steigert und das Angebot an Arbeitskräften erhöht.”

Dem konjukturbedingt rückläufigen Wachstum kann Deutschland nach Ansicht des Berichts am besten begegnen, indem es zulässt, dass automatische Stabilisatoren (etwa Sozialtransfers im Falle von Arbeitslosigkeit) im Einklang mit der Schuldenbremse ihre volle Wirkung entfalten. Auch gilt es, die Binnennachfrage anzukurbeln, indem die Rahmenbedingungen für Innovationen und Investitionen verbessert werden. So wäre es zum Beispiel empfehlenswert, die verhältnismäßig strenge Regulierung einiger Dienstleistungsberufe zu lockern (etwa bei Architekten und Anwälten) und direkte Investitionen in Forschung und Entwicklung künftig durch Steuergutschriften zu ergänzen.
 
Strukturell stellen Deutschlands demografische Besonderheiten das Land vor große Herausforderungen. So sind die Aussichten für das deutsche Potentialwachstum ungünstig: Zu Beginn des kommenden Jahrzehnts dürfte es auf unter ein Prozent, also etwa die Hälfte des OECD-Durchschnitts, sinken. Grund dafür ist das altersbedingt abnehmende Beschäftigungspotenzial. Während die Beschäftigung im OECD-Schnitt zwischen 2016 und 2025 um ein halbes Prozent jährlich wachsen wird, ist in Deutschland mit einem deutlichen Rückgang zu rechnen.

Das Land sollte also dringend darauf hinarbeiten, sein Arbeitsvolumen zu erhöhen und Fachkräfte zu gewinnen. Durch eine höhere (Vollzeit)Berufstätigkeit von Frauen ließe sich zum Beispiel die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden pro Beschäftigtem erhöhen. Diese ist zurzeit nur in zwei OECD-Ländern noch niedriger als in Deutschland. Dazu wäre es sinnvoll, steuerliche Vergünstigungen für Alleinverdienerhaushalte abzubauen und weiter in hochwertige und kostengünstige Kindesbetreuung zu investieren. Leistungen für Familien, die keine öffentliche Kinderbetreuung in Anspruch nehmen, sind in diesem Zusammenhang kontraproduktiv.

Auch ältere Arbeitnehmer sollten Anreize erhalten, um länger im Beruf zu bleiben. Dafür braucht es Reformen, die sowohl das Angebot an wie auch die Nachfrage nach älteren Arbeitskräften erhöhen. Vor allem unter niedriger qualifizierten Arbeitnehmern ist die Beschäftigungsquote jenseits von 55 Jahren gering. Eine Möglichkeit, diese Gruppe länger im Beruf zu halten, wäre der Umbau des Rentensystems: Würde es so gestaltet, dass der Wert von Rentenpunkten bei Geringverdienern am Ende ihrer Berufslaufbahn steigt, könnte der Altersarmut vorgebaut und gleichzeitig der Frühverrentung begegnet werden. Parallel dazu müssten ältere Arbeitnehmer durch regelmäßige Fort- und Weiterbildungen (lebenslanges Lernen) für den Arbeitsmarkt attraktiver werden. Schließlich könnte auch eine Entlohnung, die stärker an Leistungen als am Alter orientiert ist, die Einstellungschancen älterer Arbeitskräfte verbessern.

Umweltgüter- und dienstleistungen stellten in den vergangenen Jahren eine bedeutende Wachstumsquelle für Deutschland dar. Der Wirtschaftsbericht widmet Klimaschutz und „grünem“ Wachstum ein ganzes Kapitel: Die Herausforderung nach dem Ausstieg aus der Kernenergie besteht laut Bericht darin, die ehrgeizigen Reduktionsziele für Treibhausgase zu erreichen, ohne dass die damit verbundenen Kosten die Wirtschaft hemmen. Wichtig wäre es vor diesem Hintergrund, ein klares Preissignal für CO2-Emissionen zu setzen – idealerweise auf EU-Ebene. Darüber hinaus sollten Energiesteuern gezielter auf den CO2-Ausstoß ausgerichtet und die zahlreichen Ausnahmeregeln (ermäßigte Steuern auf Diesel; Ökosteuerrückerstattung für das verarbeitende Gewerbe) abgebaut werden. Da Umweltsteuern verhältnismäßig wenig verzerrend wirken, würde eine Erhöhung der Einnahmen auf dieser Seite bei gleichzeitiger Entlastung des Faktors Arbeit dazu beitragen, das Steuer- und Abgabensystem wachstumsfreundlicher zu gestalten.

Ein erheblicher Teil der Ausgaben für CO2-neutrale, erneuerbare Energien erwächst daraus, dass die Erzeuger Ihren Strom für einen festgesetzten Mindestpreis in die Netze einspeisen. Es sollte also darauf geachtet werden, dass die Vergütungssätze der Marktentwicklung angepasst und generell auf einem vertretbaren Niveau gehalten werden. Wichtig wäre es zudem, den Wettbewerb im Energiesektor zu verbessern und einen leichteren Netzzugang für neue Marktteilnehmer zu schaffen. Zudem sollte Deutschland Maßnahmen ergreifen, um sich besser in den europäischen Energiemarkt zu integrieren. So könnten mit den erneuerbaren Energien einhergehende Schwankungen in der Stromversorgung ausgeglichen werden. Schließlich sollte Deutschland versuchen, seine führende Stellung bei Umweltinnovationen beizubehalten, indem es Grundlagenforschung öffentlich unterstützt, junge Unternehmen mit Risikokapital fördert und nicht zuletzt dafür sorgt, dass innovative Köpfe im deutschen Markt gehalten oder in ihn gezogen werden.

(...) +++

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