wirtschaft

Arbeitswelt: Immer mehr Beschäftigte in unsicheren Jobverhältnissen - "Wachsende Armut und Ungleichheit"
(nf/red/19.05.15) Eine dauerhafte Festanstellung? Davon können die meisten Menschen heute nur noch träumen. Drei Viertel aller Beschäftigten weltweit arbeiten befristet, in Teilzeit, ohne Vertrag oder unbezahlt im familiären Umfeld. Darauf macht die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in ihrem neuesten Jahresbericht aufmerksam. Festzustellen ist demnach ein ungebrochener Trend der Verlagerung von klassischen Jobverhältnissen hin zu atypischer Beschäftigung. In vielen Ländern gehe dies mit wachsender Armut und Ungleichheit einher. Die ILO fordert die Politik auf, der fortschreitenden Veränderung der Arbeitswelt gerecht zu werden. Angesichts der zunehmenden Unsicherheit auf dem Jobmarkt gelte es, für alle Beschäftigten eine "angemessene Einkommenssicherheit" zu schaffen.

Originaltext der ILO:

+++ Dreiviertel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weltweit sind zeitlich befristet beschäftigt, arbeiten in informellen Jobs - oft ohne Verträge - als „own account worker“ (1) oder in unbezahlter Familienarbeit, so der „World Employment and Social Outlook 2015 (WESO) “. (2)

Mehr als 60 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben überhaupt keinen Beschäftigungsvertrag. Davon arbeitet die Mehrzahl in Entwicklungsländern als „own-account worker“ auf eigene Rechnung oder in Familienarbeit. Aber auch in der Gruppe der Beschäftigten, die Lohn oder Gehalt beziehen, besitzen weniger als die Hälfte (42 Prozent) einen dauerhaften Arbeitsvertrag.

Die erste Ausgabe des neuen, jährlichen Flagship-Reports „World Employment and Social Outlook 2015 (WESO)“ mit dem Titel: „The Changing Nature of Jobs“ zeigt, dass der weltweite Anstieg der Lohnarbeit nur die Hälfte der Erwerbsbevölkerung - mit großen regionalen Unterschieden - betrifft. Beispielsweise sind in Industrieländern und Ländern Zentral- und Südosteuropas rund acht von zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angestellt, in Südasien und Sub-Sahara Afrika aber nur rund zwei von zehn.

Ein weiterer Trend ist der Anstieg der Teilzeitarbeit, besonders bei Frauen. Zwischen 2009 und 2013 überstiegen in der Mehrzahl der Länder die Zuwächse der Teilzeitarbeitsverhältnisse die der Vollzeitarbeitsplätze.

„Die Zahlen zeigen eine zunehmend diversifizierte Welt der Arbeit. In einigen Fällen können nicht-standardisierte Formen von Arbeit helfen, dass Menschen überhaupt Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Diese aufkommenden Trends spiegeln aber vor allem die weitverbreitete Unsicherheit wider, der viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heute ausgesetzt sind“, so ILO-Generaldirektor Guy Ryder.

„Die Verlagerung von typischen Beschäftigungsverhältnissen zu atypischen, nicht-standardisierten Formen der Beschäftigung geht in vielen Ländern mit wachsender Armut und Ungleichheit einher“, so Guy Ryder weiter. „Diese Trends bergen das große Risiko, dass der Teufelskreis aus schwacher globaler Nachfrage und langsamen Jobaufbau aus der Nach-Krisen-Zeit sich zu verstetigen droht.“

„Es ist die Herausforderung der Gegenwart und Zukunft, dass politische Entscheidungen diese Veränderungen der Arbeitswelt berücksichtigen. Es gilt, Investitionsanreize zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Erhöhung der Produktivität zu setzen und gleichzeitig Sorge dafür zu tragen, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angemessene Einkommenssicherheit haben – und nicht bloß diejenigen in stabilen Arbeitsverhältnissen“, so Ryder.

Wachsende Ungleichheiten

In der Mehrzahl der Länder ist die Einkommensungleichheit unverändert hoch oder steigt weiter – ein Trend, der durch die hohe Anzahl nicht-dauerhafter Formen der Beschäftigung, wachsender Arbeitslosigkeit und Inaktivität noch verstärkt wird. In den letzten zehn Jahren hat sich die Einkommenskluft zwischen dauerhaft festangestellten und befristeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vertieft.

Trotz positiver Schritte zur Verbesserung der Alterssicherungssysteme profitieren im Wesentlichen nur regulär Beschäftigte von sozialen Sicherungssystemen wie zum Beispiel einer Arbeitslosenversicherung. Und nur 52 Prozent der Beschäftigten weltweit haben Zugang zu einer Altersversorgung, wobei die Situation bei den Selbständigen mit nur 16 Prozent besonders dramatisch ist.

Mehr als ein Fünftel aller Arbeitsplätze hängt an Globalen Lieferketten

Der Bericht untersucht zudem die wachsende Bedeutung der globalen Lieferketten für die Beschäftigungs- und Einkommensmuster heutiger Arbeitsmärkte. 453 Millionen Menschen sind weltweit in 40 Ländern (dies sind zwei Drittel des globalisierten Arbeitsmarktes) in globalen Lieferketten beschäftigt (verglichen mit 296 Millionen im Jahr 1995). Diese Menschen produzieren Waren und Dienstleistungen, die in anderen Ländern konsumiert oder weiterverarbeitet werden. Ihr Anteil beträgt 20,6 Prozent der gesamten Beschäftigung in den untersuchten Ländern (verglichen mit 16,4 Prozent im Jahr 1995). In Taiwan (China) hängt die Hälfte aller Arbeitsplätze von globalen Lieferketten ab, gefolgt von Südkorea und der Europäischen Union, in der einer von drei Beschäftigten einen Arbeitsplatz verbunden mit globalen Lieferketten einnimmt.

Diese Entwicklung fordert eine abgestimmte und breit angelegte politische Strategie. Nur so können globale Lieferketten sowohl zum wirtschaftlichen Nutzen für Unternehmen und Volkswirtschaften als auch zum sozialen Wohl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den produzierenden Ländern beitragen. Die guten Ansätze wie der „Bangladesh Accord“ zeigen, dass Veränderungen möglich sind und globale Lieferketten zu Sicherheit und Wachstum beitragen.

(1) Bei dem sogenannten „own-account worker“ handelt es sich um selbständige arbeitende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit potenziell einem oder mehreren Partner aber ohne kontinuierlich beschäftigte Angestellte.
(2) Der Bericht stützt sich dabei auf die Länder mit verfügbaren Daten. Diese decken ingesamt 84 Prozent der globalen Erwerbsbevölkerung ab.

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